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Die Predigt der leeren Pizzaschachtel - Nachklang zum 2. Sonntag der Osterzeit 2024

Pizza-Karton am Bahnsteig. Foto: Rabbe

Wieder einmal schenkt mir die Bahn mit dem kurzfristigen Ausfall einer Regionalbahn Zeit zum Nachdenken und für eine geistliche Betrachtung.

Der schmutzige Kleinstadtbahnhof

So entsteht dieser „Nachklang“ zum Gutteil auf dem Bahnsteig von Bad Honnef im Anblick der dort zuhauf herumliegenden Pizzaschachteln und des auf dem sichtlich verwahrlosten Gelände verteilten Verpackungsmülls. Wenn es einen Wettbewerb für den schmutzigsten Kleinstadtbahnhof im Rheinland gäbe, hätte dieser Ort die besten Chancen für einen der Spitzenplätze. Mit bitterer Ironie lässt sich mutmaßen, dass im sogenannten „Nizza am Rhein“ (so die anspruchsvolle Selbstbezeichnung) allem Anschein nach seit einigen Jahren eine Langzeitstudie läuft. Diese verfolgt als Ziel die Klärung von zwei Fragen: 1. Wie lange dauert es, bis ein bestimmter Bereich des öffentlichen Raums komplett versifft ist? Und 2. Wie hoch muss der Leidensdruck sein, bis sich irgendjemand erbarmt und wenigstens einige der in Massen herumliegenden leeren Flaschen und Fastfood-Verpackungen entsorgt? Das würde immerhin bedeuten, dass ein, zwei Menschen dort verantwortlich handeln, wo sich niemand zuständig fühlt. Denn auch die Stadtverwaltung, die Deutsche Bahn und der Mieter des Bahnhofsgebäudes sehen sich in der Müllbeseitung außen vor oder schieben sich bei Nachfragen durch die Lokalpresse gegenseitig den „Schwarzen Peter“ zu.

Das urchristliche Ideal vom Gemeinschaftseigentum

In diesem Jahr erinnert die erste Lesung am zweiten Sonntag der Osterzeit an die ebenso idealen wie utopischen Anfänge der ersten christlichen Gemeinde. Lukas, der Autor der Apostelgeschichte, notiert ausdrücklich, dass die Menge der gläubig gewordenen Menschen „ein Herz und eine Seele“ ist und in allem eine Gütergemeinschaft praktiziert (Apg 4,32). Aber schon wenige Verse später holt die harte Realität die weitere Geschichte der sogenannten Urgemeinde ein. Es kommt zu ersten Unterschlagungen und zum offenen Streit über die Verteilung der gemeinsamen Mittel. In der Geschichte des Christentums wurde danach die Idee des Gemeinschaftseigentums nur noch und dies mit sehr wechselndem Erfolg in klösterlichen Gemeinschaften weiterverfolgt. Wie skeptisch selbst das kirchliche Lehramt diesem Konzept gegenüberstand, beweist Papst Pius XII., der vor siebzig Jahren das Privateigentum als „unmittelbaren Ausfluss des Personseins“ feierte[1]. Kein Wort davon, dass es auch anders gehen könnte!

Die Realität der Ego-Gesellschaft

Weder am Anfang des Christentums noch in unserer Gegenwart scheint der Gedanke des Gemeinschaftseigentums und der damit verbundenen Verantwortung zu überzeugen, geschweige denn zu funktionieren. Es braucht gar nicht den wohlfeilen Hinweis auf das Scheitern des realexistierenden Sozialismus, um zu verstehen, dass das individuelle Verantwortungsbewusstsein für das öffentliche Eigentum und den öffentlichen Raum kein Selbstläufer ist. Ob die Bahnsteige in meinem Wohnort weiter vermüllen, ist mir nun einmal nicht so wichtig wie der aufgeräumte Flur in meiner Wohnung. Sollen doch die anderen draußen etwas aufheben, wenn es sie denn stört! Aber allein schon der Gedanke „es muss nicht immer ich sein, der für die anderen aufräumt" ist mindestens so ansteckend wie Corona und so banal wie die strohdumme Behauptung, wenn jeder an sich dächte, sei an alle gedacht. Genau diese Art von Ego-Gesellschaft haben die Christinnen und Christen der ersten Stunde durch ihre gegenteilige Lebenspraxis grundsätzlich infrage gestellt. Der Glaube an den Auferstandenen hatte für sie radikale ökonomische und soziale Konsequenzen. Und sie waren davon überzeugt, dass ihre neuartige Gemeinschaft auch für die Menschen in ihrer Umgebung und weit darüber hinaus attraktiv sein würde. Der Erfolg hat ihnen Recht gegeben!

Die Kraft übernommener Gemeinschaftsverantwortung

Es muss nicht das ganz große Alternativkonzept für öffentliches Eigentum und öffentlichen Raum sein, aber es wäre immerhin ein Aufbruch hin zum Besseren, wenn Christinnen und Christen heute zumindest einen fernen Widerhall der idealen Anfänge ihrer Glaubensgeschichte leben würden. Wenigsten sie sollten sich immer wieder neu überwinden und anfangen, die Verantwortung auch für die anderen mit zu übernehmen. Der verdreckte Kleinstadtbahnhof ist nur eines von vielen Beispielen für eine Gesellschaft, die genau das verdrängt. Aber will ich zu denen gehören, die ohnmächtig einen Teil ihrer Lebenszeit an zugemüllten Orten verbringen? Immer und immer wieder anfangen, den mir möglichen Beitrag für das gemeinsame Eigentum zu leisten! Vielleicht ist es ja sogar ansteckend, denke ich mir, und bringe drei herumliegende Pizzaschachteln zum Mülleimer.

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands

 

[1] Radiobotschaft an den „Katholikentag“ von Wien 1952, vgl. www.vatican.va/content/pius-xii/de/speeches/1952/documents/hf_p-xii_spe_19520914_katholikentag.html