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Die subversive Kraft des Fragezeichens – Ein Nachklang zum Osterfest 2024

Ein Mensch muss schon mehr als nur ein bisschen „meschugge“ sein, wenn er im Moment der größten Hoffnungslosigkeit beim Anblick eines blühenden Mandelzweigs vom kommenden Sieg des Lebens spricht.

Aber genau das hat der deutsch-jüdische Schriftsteller Schalom Ben-Chorin (1913-1999) im Jahr1942 in seinem Jerusalemer Exil fertiggebracht. In den ersten Monaten dieses Jahres schien der Sieg der braunen Barbarei über weite Teile der zivilisierten Welt zum Greifen nah. In vernichtender Hilflosigkeit musste Ben-Chorin die schrecklichen Nachrichten von der Vernichtung seines Volkes in Deutschland und den besetzten Gebieten zur Kenntnis nehmen. Gelähmt von Entsetzen und Trauer schaut er aus dem Fenster und sein Blick fällt auf den blühenden Mandelbaum im Garten. Und da geschieht es. Inmitten schrecklicher Bilder und Meldungen schenken die Blüten dem damals 29jährige die Kraft, ein Fragezeichen hinter die schiere Allmacht von Dunkelheit und Kälte zu setzen. Das unwiderstehliche Fragezeichen neuen, aufbrechenden Lebens:
 

Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt,

ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt?
Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit,

achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit.
Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht.

Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht.
Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt,

das bleibt mir ein Fingerzeig für des Lebens Sieg.[i]

 

Nach dem Krieg gehört Schalom Ben-Chorin zu den großen Brückenbauern im jüdisch-christlichen Dialog. Dem evangelischen Pfarrer und Komponisten Fritz Baltruweit, der das Lied vom Mandelzweig vertont hat, erzählt er, wie es mit dem Mandelbaum weitergegangen ist: „Irgendwann wurde dieser Baum umgehauen und Platten wurden in den Hof gelegt. Doch eines Tages haben sich die Wurzeln des Baumes wieder den Weg durch die Platten gebahnt. Die Hoffnung ist nicht totzukriegen.“

 

Wir feiern in diesem Jahr Ostern in einer Welt, in der sich die Ausrufezeichen des Kriegsgrauens, der Menschenverachtung und ideologischer Verbohrtheit rasant vermehren. Die oft deprimierende innen- und außenpolitische Realität trägt viele Namen und scheint viel stärker zu sein als die Hoffnung auf eine Wende zum Besseren. Gegen die um sich greifende Resignation und wachsende Gewalttätigkeit können wir Christinnen und Christen lediglich die österliche Kraft des Fragezeichens aufbieten. Besser: dass wir selber zu blühenden Fragenzeichen werden. Denn auch inmitten trübster Zeiten ist der blühende Mandelzweig ein Fingerzeig dafür, dass das Leben trotzdem siegen wird!

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands

 

[i] Evangelisches Gesangbuch. Ausgabe für die Evangelisch-Lutherischen Kirchen in Bayern und Thüringen, Nr. 659.