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„Du Mensch!“ – Nachklang zum Vierten Sonntag der Osterzeit 2024

In der Schafswelt wächst seit Monaten die Empörung angesichts der Verrohung zwischenschaflicher Kommunikation. Gezielte Diffamierungen durch eine extrem beleidigende und verletzende Wortwahl sind fast schon an der Tagesordnung. Hierbei spielt die Beschimpfung des Gegenübers als „Mensch“ eine zutiefst beschämende Rolle. Nicht nur in Kreisen der Lämmer, wo ein ebenso provokativer wie unbekümmerter Sprachstil noch am ehesten nachvollziehbar wäre, sondern sogar auf der offenen Bühne des kulturellen Lebens und im politischen Diskurs laufen Beleidigungen wie „Du dummer Menschenkopf“ bzw. „Du blöder Mensch“ in Dauerschleife.

Schafe, die sich aus tiefer Sorge über die Zukunft des schaflichen Zusammenlebens mit dieser barbarischen Verwahrlosung der Umgangsformen auseinandersetzen, weisen immer wieder darauf hin, wie schafverachtend es ist, sich gegenseitig die moralischen Abgründe und Extreme menschlichen Verhaltens anzuhängen. Als besonders gemein gilt es, einem anderen Schaf den tumb-emotionalen Herdentrieb von Menschen oder die typisch menschliche Geltungssucht anzudichten. Denn ein Verhalten wie z.B. der massenhafte Konsum von extrem minderwertigen Waren ist bei Schafen nicht nachweisbar. Ganze Herden von Menschen (26 % der Verbraucher in Deutschland waren es Anfang 2024) entwickeln in der Nutzung der chinesischen Shopping-App Temu eine regelrechte Sucht und lassen sich täglich von schlecht bezahlten Mitmenschen bis zu 200.000 Pakete liefern[1]. Dieses Ausmaß an Gier und Unersättlichkeit ist Schafen völlig fremd. Mit Verwunderung und Abscheu schauen sie auf die wie eine blökende Masse erscheinende Menschenherde, die nach dem Prinzip funktioniert, „wenn andere das gut finden, dann mach ich das auch“. Als besonders pervertierte Form des Herdenverhaltens nehmen sie das Gebaren und Nachahmungsverhalten auf den internationalen Finanzmärkten wahr und wie hier manche Anleger mit ihren Wetten auf die Verknappung von Grundnahrungsmitteln und drohende Hungersnöte fast buchstäblich über Leichen gehen. Undenkbar für Schafe! Verstörend wirkt auf Schafe aber auch, wie verbreitet unter Menschen die Sehnsucht nach politischen Leithammeln als Problemlösern und Weltvereinfachern ist. Schlimmer noch, mit welcher Hingabe und Anhänglichkeit Menschen in großen Scharen denen nachfolgen, die ihrerseits auf sie als dumme Schafe herabblicken und sie als Stimmvieh verachten. Schafe kennen dieses Verhalten ansonsten nur von den dümmsten Kälbern.

Alle Schafe sind sich darin einig, dass auf sie die Beschreibung als ruhige und friedliche Wesen ganz anders als beim Menschen hundertprozentig zutrifft. Sie sind stolz darauf, dass in ihren Herdenverbänden häufig Muttertiere die Leitung innehaben. Selbstbewusst weisen sie auf Studien hin, die ihnen ein hervorragendes Gedächtnis und ausgeprägtes Lernverhalten attestieren[2]. Besonders aufmerksamen Menschen würden Schafe verraten, was sich diese für das eigene Zusammenleben von einer funktionierenden Herde (ggf. unter Anleitung bzw. mit Unterstützung eines Experten, Stichwort „Hirte“) abschauen können: gegenseitiges Füreinander-einstehen, Zusammenhalt und Achtsamkeit füreinander[3].

Für Schafe ist es daher alles andere als überraschend, wenn Jesus im Evangelium dieses Sonntags seine Beziehung zu den ihm anvertrauten und den ihm vertrauenden Menschen mit dem Verhältnis eines guten Hirten zu seinen Schafen vergleicht (Joh 10,11-18). Eigentlich eine Selbstverständlichkeit …

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands

 

[1]www.handelsblatt.com/unternehmen/handel-konsumgueter/temu-der-unaufhaltsame-aufstieg-des-amazon-rivalen-01/100005800.html

[2] Vgl. Thelma Rowell “Sheep do have opinions”, in orbi.uliege.be/bitstream/2268/135590/1/Sheep%20do%20have%20opinions.pdf

[3] Helga Gotthard in www.ckd-netzwerk.de/praxis/besuchsdienst/spirituelles/von-den-schafen-lernen