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„Helden des Rückzugs“ – Ein Nachklang zum 21. Sonntag (A) 2023

„Helden des Rückzugs“ – Ein Nachklang zum 21. Sonntag (A) 2023

„Stein, Holz, Marmor, Kunststoff: Der Am-Stuhl-Klebstoff ist vielfältig einsetzbar und verbindet verschiedene Materialien zuverlässig – ganz gleich, aus welchem Material Ihr Bürgermeisterstuhl ist. Insbesondere starre und halsstarre Materialien lassen sich mit dem Klebstoff verbinden und garantieren auch bei heftigstem und dauerhaftem Gegenwind eine verlässliche Haftung. Handelsübliche Lösungsmittel wie etwa ein Rücktritt funktionieren beim Am-Stuhl-Klebstoff auch bei mehrmaliger Forderung nicht.“(1) Anlässlich der Auseinandersetzungen um den (Nicht-)Rücktritt des Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann hat Stephan Reiche vom Hessischen Rundfunk in einer wunderbaren Glosse beispielhaft das Beharrungsvermögen von Menschen in Führungspositionen aufs Korn genommen und damit eine ganze Riege von im Amt verbrauchter, korrumpierter oder einfach nur überalterter Personen karikiert. Diese werden garantiert nicht als Heldinnen und „Helden des Rückzugs“ (H.M. Enzensberger) in die Geschichte eingehen.

Totalanspruch des Amts

Wer aber ist beispielsweise ein solcher „Held des Rückzugs?“ Es überrascht, wer damit gemeint sein könnte. „Beachten Sie, sämtliche Kontaktoberflächen präzise mit der Klebemasse zu benetzen, damit eine irritierend feste Verbindung entsteht“, spottet Stephan Reiche weiter. Die festeste Verbindung von Person und Amtsstuhl bzw. Thron überhaupt schien bis vor wenigen Jahren beim Papsttum gegeben, dessen Einsetzung durch Jesus mit dem heutigen Evangelium als Schlüsselstelle (im wahrsten Sinn des Wortes!) belegt wurde und wird. Im Laufe der Kirchengeschichte entwickelte sich auf dieser Grundlage ein derart übermächtiges Amtsverständnis, dass die Fragen nach der Qualifikation, der psychischen und gesundheitlichen Eignung des jeweiligen Amtsinhabers zeitweilig kaum noch ins Gewicht fielen. Der Totalidentifikation mit dem Amt musste und müssen Person und Persönlichkeit weichen. Vor diesem Hintergrund war ein Rücktritt so gut wie undenkbar. Die Amtszeit endete mit dem Tod des jeweiligen Papstes. Erst Benedikt XVI hat durch seine Entscheidung für den Amtsverzicht neue Maßstäbe gesetzt. Er ist ein „Held des Rückzugs“ und stellt m.E. ein überragendes Vorbild für all jene dar, die meinen, auf Amt und Würden nicht verzichten zu können, weil sie es scheinbar nicht dürfen.

Stuhlklebementalität

Manche Vorstände an der Spitze von Verbänden und Vereinen sind in diesem Sinn verglichen mit Papst Benedikt „päpstlicher als der Papst“. Denn anders als er lassen sie den richtigen Zeitpunkt für einen Rücktritt ohne Gesichtsverlust verstreichen. In ihrer „Stuhlklebementalität“ ignorieren sie konsequent jedes noch so eindeutige Alarmzeichen: die Überalterung der Vereinsmitglieder, sich häufende Austritte, die unumgängliche Fusion mit anderen Ortsverbänden oder das Siechtum des eigenen Vereins. Immer wieder scheinen Vorsitzende trotz unbestreitbar großer Verdienste für „ihren“ Verein nicht begreifen zu können, dass z.B. mit zunehmendem Alter ihre Leistungsfähigkeit abnimmt und sie fast nur noch in ausgefahrenen Geleisen unterwegs sind. Ihnen fällt kaum noch auf, dass es stets die gleichen Menschen in ihrem Umfeld sind, die ihnen Lob und Anerkennung zollen. Alles ist immer mehr auf die immer gleiche Person an der Spitze ausgerichtet und alles gleicht sich dem vom Vorstand vorgegebenen Trott an. Von außen entsteht der Eindruck, dass dieser einem intellektuell nicht mehr nachvollziehbaren Unentbehrlichkeitskult huldigt. Die Totalidentifikation mit dem einst übernommenen Leitungsamt geht so weit, dass am Ende das Schwinden der eigenen Kräfte auf den gesamten Verein projiziert wird und dieser sich „idealerweise“ zeitgleich mit dem schließlich dann doch erfolgenden Ausscheiden des Vorstands auflöst. - Ein rechtzeitiges Gegensteuern und das Zulassen überlebensnotwendige Kritik wird durch diese Art der Blasenbildung bereits im Keim erstickt. Vor allem jüngere Leute, die die Idee und Zielsetzung eines Vereins an und für sich überzeugend finden und sich gerne in die Verantwortung nehmen ließen, verlieren schnell die Lust oder wenden sich sofort wieder ab. Dann beklagen die Alten, dass sich niemand mehr finden ließe und deshalb müssten sie bis zum "geht-nicht-mehr" weiter machen und sich erst auf der Totenbahre aus dem Amt tragen lassen.

Charakterstärke

Daher habe ich großen Respekt vor all jenen, die die nötige Bescheidenheit und Demut aufbringen, gerade nach erfolgreichen Jahren in der Leitung ihr Amt rechtzeitig zur Verfügung zu stellen. Sie leisten dem Fortbestand „ihres“ Vereins bzw. Verbands einen großen Dienst. Vielleicht haben sie sich gefragt, was passieren wird, wenn ihre Kräfte nachlassen, wenn sich Fehler einschleichen und immer mehr Aufwand für deren Korrektur nötig ist („Zu viel zerbrochenes Porzellan lässt sich auch mit dem Am-Stuhl-Klebestoff nicht mehr kitten“). Vor allem aber wissen sie von Anfang an, dass sie nur auf Zeit gewählt sind, ganz ohne göttliche Einsetzung in ihr Leitungsamt. Nichts schadet dem eigenen Ansehen und dem des Vereins (noch viel) mehr, als der Eindruck, dass es an der Spitze nur noch um Machterhalt und Einfluss um jeden Preis geht. Natürlich ist es schwer, nach vielleicht über 40 Jahren als Vereinsvorsitzender loszulassen. Es ist ein eindeutiges Zeichen persönlicher Charakterstärke und der Lebendigkeit des Vereins, freiwillig zu gehen und einem Neuen, einer Neuen rechtzeitig Platz zu machen. Mit dem offenen und unaufgeregten Eingeständnis, dass die eigene Zeit abgelaufen ist und ehrlichen Segenswünschen für die nachfolgende Generation. Es gibt auch ein Leben nach dem Amt.

Hoffentlich wird die noch recht kleine Schar dieser Heldinnen und „Helden des Rückzugs“ in der Zivilgesellschaft, in der Kirche – und auch in einem Verband wie der KAB immer größer!

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands

(1)https://www.hessenschau.de/politik/war-was-peter-feldmann--gebrauchsanweisung-fuer-am-stuhl-klebstoff,feldmann-klebstoff-100.html