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Ijob 1.0 und Ijob 2.0 – eine Empathieübung zum 5. Sonntag (B) 2024

Der erste der kirchlichen Lesungstexte für diesen Sonntag schenkt uns die flüchtige Begegnung mit einer der interessantesten Figuren nicht nur der Bibel, sondern der gesamten Literaturgeschichte: Wir treffen Ijob bzw. Hiob, wie er meistens im deutschen Sprachraum genannt wird. Um noch präziser zu sein: es geht um die Begegnung mit „Ijob 2.0“.

„Lieber reich und gesund als arm und krank“

„Ijob 1.0“, das ist eine eher blasse, aber privilegierte Persönlichkeit, die die meisten von uns wohl eher vom Hörensagen als durch persönlichen Umgang kennen. Er gehört zu den Reichen und Schönen seines Landes, die ein von Sorgen unberührtes Luxusleben führen. Als Oberhaupt einer weitverzweigten Familie und Chef über „zahlreiches Gesinde“ hat er alles richtig gemacht. Er genießt hohes Ansehen, ist bestens vernetzt und stellt sich auch mit Gott gut. Das „normale Leben“ dürfte ihm kaum bekannt sein. Der Anblick von Armut und Krankheit irritiert, wenn überhaupt, nur kurz sein selbstbewusstes Ego.

Von diesem Menschen ist als „Ijob 2.0“ fast nichts mehr wiederzuerkennen. Die sprichwörtlichen Hiobsbotschaften haben sein Leben regelrecht demontiert. Es hat mit dem Besitzverlust begonnen: ein paar Rinder wurden geklaut. Und danach geht es wie in einem schlechten Melodrama steil bergab mit ihm. Heute ist Ijob ein Zeitgenosse, der sich an der Börse verspekuliert hat. Ein Mensch, dessen unfehlbar erfolgreiches Geschäftsmodell zusammengebrochen ist und/oder dem die Banken ohne Vorankündigung ihr Vertrauen entziehen. Er ist das Vorstandsmitglied eines Großkonzerns, der im Machtkampf unterliegt und schnellstens entsorgt werden muss. Um das Unglück perfekt zu machen, kommen noch der Verlust der Familie und eine völlig unerwartete Krebsdiagnose wahlweise ein Schlaganfall hinzu.

Berührbarkeit beginnt außerhalb der Komfortzone

Der biblische Ijob stellt in seiner Version „2.0“ das Sinnbild des unter die Räder gekommenen Menschen schlechthin dar.  Es passt bestens, dass er in der Kunstgeschichte immer wieder auf einem Misthaufen sitzend dargestellt wird oder mitten im Unrat kauernd: mit einer Scherbe in der Hand, um sich damit die von Schorf und Eiter überzogene Haut zu kratzen. Ich kann förmlich hören, wie er vor sich hinmurmelt: “Ein Scheißleben ist das ...”. Die Bibel überliefert es in gehobener Sprache: “Ist nicht Kriegsdienst des Menschen Leben auf Erden? Und seine Tage nicht die eines Tagelöhners? (Ijob 7,1)“ Er beschreibt damit nicht nur seine Lebenssituation, sondern das Leben im Allgemeinen. Denn jetzt kann er sich auch in die Lage anderer hineinversetzen: in ein von ständiger Bedrohung, Plackerei und Unfreiheit dominiertes Durchschnittsleben. Der Vergleich des Lebens mit dem Kriegsdienst beschreibt treffend den Alltag in einer von aggressiver Kommunikation und Freund-Feind bzw. Gut-Böse-Mustern durchdrungenen und permanenter Unzufriedenheit geprägten Gesellschaft. Das Bild des Tagelöhners lässt mich an Menschen denken, die trotz harter Arbeit kaum über die Runden kommen und denen steigende Lebenshaltungskosten und gnadenlos hohe Mieten jeden Mut rauben.

Es bleibt die Frage nach meiner Empathie als Christ, als Christin. Wie viel „Ijob 2.0“ gibt es in meinem Leben? Helfen mir mein Lebensstil und meine Lebensauffassung, um mich in die Plackerei und die permanenten Gefährdungen z.B. von Menschen in prekären Lebensumständen hineinzuversetzen? Diese Frage trifft auch auf Verbände zu, die sich angesichts der sozialethischen Herausforderungen unserer Zeit das „Hinschauen“ und „Urteilen“ auf die Fahne geschrieben haben. Ich persönlich weiß um die Gefahr, wohlmeinende Ratschläge und vermeintlich Erklärungen mit echter Empathie zu verwechseln. Die meisten Kapitel des Buches Ijob liefern hierzu eine perfekte Gebrauchsanleitung. Oft bleibe ich mit meinen Hilfs- und Erklärungsversuchen von außen schlichtweg in meiner Welt und meiner Harmoniekonstruktion stecken. Wahre, tätige Empathie aber weiß, wovon sie wie „Ijob 2.0“ spricht, besser weshalb sie einfach schweigt, aushält und mitträgt.

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands