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Jesaja und Matthäus, die Mauerspechte – ein Nachklang zum 20. Sonntag (A) 2023

Mauerspechte gesucht! – ein Nachklang zum 20. Sonntag (A) 2023

Erinnern Sie sich noch an die „Mauerspechte“? Unmittelbar nach dem Fall der Berliner Mauer hatten sich Hunderte von Menschen darangemacht, das Symbol jahrzehntelanger Trennung und Abschottung zu zerstückeln. Ebenfalls als „Mauerspechte“ wirken im übertragenen Sinn der in den Schriften des Jesaja überlieferte unbekannte Prophet Mitte des 6. Jahrhunderts v.Chr. und ein halbes Jahrtausend später der Evangelist Matthäus, - sprich die Autoren der ersten Lesung und des Evangeliums an diesem Sonntag.

Identität durch gleiche Menschenwürde

Der namenlose Rufer warnt und fordert zugleich in Namen Gottes: „wahrt das Recht und übt Gerechtigkeit … Mein Haus wird ein Haus des Gebetes für alle Völker genannt werden“ (Jes 56,1.7). Der höchstwahrscheinlich am Ende bzw. kurz nach dem sogenannten babylonischen Exil wirkende Prophet wendet sich an ein Volk, das seiner Nationalität beraubt und zerschlagen worden war. Nun stellt sich die dringende Frage, ob neue Mauern, die die überkommenen Ressentiments und Abgrenzungen aus der Zeit vor der Verschleppung in die Verbannung fortgesetzt werden sollen. Denn Identität scheint nur durch neue Grenzziehungen möglich. Doch genau diesem verführerischen Ansatz stellt sich der Prophet dezidiert entgegen: nicht neue-alte Grenzen kennzeichnen die Einmaligkeit des Volkes Gottes, sondern dessen Haltung gegenüber den Fremden. Diese sind eben nicht einfach die „anderen“ oder die Gegner, sondern Menschen mit der gleichen Würde, dem gleichen guten Willen. Und den gleichen Rechten! Wer auch immer diese Zeilen verfasst hat: Er beschreibt hier eine ungeheure religiöse und kulturelle Entwicklung. Der Fremde genießt das gleiche Recht wie ich, er hat z.B. den gleichen Anspruch auf die Ruhepause des Sabbats wie ich. Vor allem aber: Ihm gegenüber habe ich mich zu verhalten wie gegenüber einem mir nahestehenden Menschen. Um es zuzuspitzen: Hier stehen Achtung gegen Missachtung, Vertrauen gegen Misstrauen, Akzeptanz gegen Ablehnung, Teilen gegen Abgrenzung und Gemeinsamkeit gegen Ausgrenzung.

Offenheit als ständiger Lernprozess

Auch der Evangelist Matthäus schreibt inmitten der Nachwirkungen einer Katastrophe: Im Jahr 70 zerstören die Römer den Tempel in Jerusalem und damit den Mittelpunkt bisheriger jüdischer Identität. Abgrenzung und Abschottung kennzeichnen die Suche nach einem neuen Selbstverständnis. Der religiöse und nationale „Mauerbau“ ragt tief in die judenchristlichen Gemeinden hinein, für die der Evangelist wirkt. Gegen ihre Berührungsängste und als Motivation, sich vor dem Fremden nicht zu verschließen, schreibt Matthäus von der Begegnung Jesu mit der Ausländerin. Es befremdet mich stark, wenn der Evangelist schildert, mit welcher Vehemenz Jesus sich in dieser Situation hinter einer nationalen und religiösen Grenzmauer verschanzt. Gleichzeitig lässt mich die Schlagfertigkeit schmunzeln, mit der diese Frau als „Mauerspechtin“ vorgeht. Mit entwaffnender Selbstironie dreht sie das übliche Hunde-Schimpfwort für Heiden ins Positive um. Matthäus schildert damit pointiert den Lernprozess Jesu, den alle, die ihm nachfolgen wollen, immer wieder durchlaufen müssen: Die Botschaft vom befreienden und grenzüberwindenden Gott gilt allen Menschen.

Mauerspechte heute

Natürlich ist dies in einer politisch so aufgeladenen Zeit wie der unseren hochbrisant. Die rechtspopulistische Abgrenzung gegen alles zuvor als „fremd“ Stigmatisierte und Herabwürdigung des „Befremdenden“ stellen das Gegenteil der Frohen Botschaft dieses Sonntags dar. Gleiches ist von der zugrundeliegenden Ideologie zu sagen, die den Eigen- und Gruppennutzen über die personale Würde eines Menschen setzt. Dies gilt auch gerade angesichts der Hilfsbedürftigkeit dieses Menschen und der Bitte, mit der er sich an andere bzw. die Gemeinschaft wendet. Konkret: sogenannte „identitäre“ Leitvorstellungen und Ressentiments haben keinen Platz in einer Situation, in der es um Not und Rettung geht, - und nicht nur da! In diesem Sinn braucht es jetzt dringend neue Mauerspechte, denn Steine und Beton für die Errichtung neuer Barrieren werden seit langem in unserer Gesellschaft angehäuft. Christinnen und Christen müssen von Anfang deren Bau verhindern und sich schon jetzt als Mauerspechte bereithalten.

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands