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Vergelt’s Gott - Nachklang 4. Sonntag der Fastenzeit 2024

„Vergelt’s Gott“ ist eine selten gewordene Redewendung. In traditionsgeprägten Kontexten wird sie gerne anstatt des üblichen „Dankeschön“ verwendet. Klingt irgendwie liebenswert angestaubt, aber die Redewendung hat es in sich. Denn Vergelten ist im eigentlichen Wortsinn nicht „nett“.

Da geht es um die angemessene Bestrafung von Tätern und Täterinnen sowie um den verzweifelten Schrei der Opfer nach einer ausgleichenden Gerechtigkeit.

Ein nicht zitierbarer und unbetbarer Text

In den Texten der kirchlichen Sonntagslesungen ist fast nie von Vergeltung die Rede. Ja, wenn nötig, werden die entsprechende Sätze lieber gestrichen als vorgelesen. Auch an diesem Sonntag geschieht das beim Antwortpsalm. Der komplette Text von Ps 137 ist kaum zumutbar und beim ersten Hören als moralisch nicht hinnehmbar. Zu Gehör gebracht wird lediglich, was Boney M. im Welthit „By the rivers of Babylon“ singt. Folgende Zeilen wurden zuvor entfernt: „Tochter Babel, du der Verwüstung Geweihte! Selig, wer dir vergilt deine Taten, die du uns getan hast! Selig, wer ergreift und zerschlägt / am Felsen deine Nachkommen“ (Ps 138,8f.). Schon in der etwas gestelzten Sprache der Einheitsübersetzung von 2016 bleiben einem beim Sprechen dieser ausgelassenen Verse die Worte im Hals stecken. Aufgrund des zutiefst gewaltsamen Bildes von wahllos hinzumordenden Kindern gilt dieser Text daher nicht nur als nicht (re)zitierfähig, sondern als so gut wie „unbetbar“.

Stimme für die Opfer maximaler Unmenschlichkeit

Mir gibt aber zu denken, dass es einige wenige Orte gibt, an denen der ganze Psalm 137 gebetet wird: die Klöster. Dies geschieht als Zeichen der Solidarität mit all den Menschen, die Tag für Tag extreme Unterdrückung und maximale Unmenschlichkeit erleben müssen. In ihrem Namen fordern Nonnen und Mönche im Chorgebet Gott auf, Gerechtigkeit für die Opfer herzustellen. Wer wie sie die brutalen Zeilen dieses Psalms bewusst betet, tritt mit Frauen und Männern in eine hochemotionale Verbindung, die an einem blind dreinschlagenden Schicksal irrewerden und Gott als gleichgültig gegenüber schlimmsten Leid erleben.

Ein gewalttätiger Text in einer gewalttätigen Zeit

Gewalttätige Texte wie dieser Psalm sind immer Ausdruck einer gewalttätigen Zeit. Die Menschen, aus deren Feder dieses verzweifelte Heimwehlied stammt, lebten in einer brutalen Zeit, einer Zeit, in der Israel von den Babyloniern besiegt und versklavt worden war. In jedem Wort dieses Gesangs hallen Erniedrigung und größtmögliche Demütigung wider: Jüdische Gefangene erinnern sich am Ort ihrer Verschleppung an das Trauma der Zerstörung Jerusalems. Alles weg, alles kaputt. Und die, die Jerusalem samt Tempel, Gesellschaft und Staat zerstört haben, machen sich lustig über sie, gängeln und schikanieren sie. Unter diesen Umständen wird die Wut zur Besessenheit, und Rache wird zum einzigen Lebensinhalt. Diese zielt wie selbstverständlich auch auf die Kinder der Täter, zielt auf die nächste Generation von Gewalttätern und damit auf zukünftige Despoten, Menschenschinder und neues Menschenmaterial für die Todesmaschinerie.

Ich kann mir gut vorstellen, dass Psalm 137 in den Kriegs- und Krisengebieten unserer Welt ganz und vor allem laut, ja schreiend gebetet wird. Opfer erdulden ihr Schicksal nicht nur. Es gibt den Schrei nach Vergeltung und nicht selten nach Gegengewalt. In den Stunden, da ich diesen Text schreibe, geschieht zum Beispiel in der Ukraine, im Sudan, im Gazastreifen genauso wie in Israel und an vielen, viel zu vielen Orten unfassbar Böses und Schreckliches. Für die Opfer ist die Vorstellung, dass in der Zukunft die Kinder der Feinde noch einmal dasselbe Böse tun könnten, kaum auszuhalten. Der Wunsch, Gott möge die Feinde vernichten, ist die Klage von Menschen, die unter der Gewalt von Aggressoren unendlich leiden.

Gott ist nicht „lieb“

Als Christinnen und Christen müssen wir gemeinsam mit allen Menschen guten Willens alles, wirklich alles dafür tun, dass Gebete wie Psalm 137 nicht mehr benötigt werden, weil der Anlass dafür fehlt. Gleichzeitig gilt es zu beherzigen: Gott soll Vergeltung üben. Aber passt das zum „lieben Gott“? Ist denn Gott, wenn er all diese Ungerechtigkeiten zulässt, ein liebender Gott? Wäre ein Gott, der zornig ist über das Unrecht, der Gerechtigkeit hart und unerbittlich durchsetzt, nicht im Grunde ein besser liebender Gott? Der Bibeltext bricht mitten in einer Gewaltfantasie ab. Vielleicht hält der Betende inne, weil ihm plötzlich klar wird, dass Gott jenseits aller menschlichen Wünsche nach Rache handelt. Gottes Vergeltung kommt. Der persische König Kyrus setzt der Gewaltherrschaft der Babylonier ein Ende. Er ist der allumfassende Befreier und geht als idealer König in die Geschichte ein.

Es ist gut, Gott die Vergeltung zu überlassen. In diesem Sinne: „Vergelt’s Gott, Herr Staatspräsident X“, „Vergelt’s Gott, Herr General Y“, „Vergelt’s Gott Frau Ministerin Z“! Bitte Namen selber einsetzen!

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB-Deutschlands