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Verstörendes Licht – Ein Nachklang zum Dreikönigsfest 2024

Es gibt kaum ein größeres Gefühl von Hilflosigkeit als jenes, das sich bei einem plötzlichen Stromausfall am späten Abend einstellt. Der Blick in die Fenster der gegenüberliegenden Häuser zeigt ein paar flackernde Kerzen, hier und da das Aufblitzen einer Handytaschenlampe. Mit einem Mal wird deutlich, wie dunkel es selbst in ansonsten hell erleuchteten Städten sein kann. Auch dort, wo normalerweise in der Ferne noch die Lichter eines weiter entfernten Viertels zu sehen sind, herrscht Finsternis. Nur am Horizont scheint es irgendwo Orte zu geben, die noch Strom haben.  

 

Stromausfall der Menschlichkeit

Der Krieg im Gazastreifen erinnert mich an dieses Szenario eines lokalen Blackouts, den ich in diesem Sommer selber erlebt habe. Bildlich gesprochen ist auch im Nahen Osten das Licht ausgefallen. Seit dem 7. Oktober bedeckt undurchdringliches Dunkel die ganze Region. Und es gehen immer mehr Lampen aus: im Libanon, im Roten Meer, in der israelisch-syrischen Grenzregion. Dem Licht der Menschlichkeit wurde der Strom gekappt. Ein Zustand, den ein ebenso zeitloser wie uralter Text anlässlich des Dreikönigsfestes auf den Punkt bringt: „Finsternis bedeckt die Erde und Dunkel die Völker“ (Jes 60,2). Aber völlig unpassend klingt, weil es absolut irreal ist, was der unbekannte Autor, der unter dem Namen „Jesaja“ firmiert, dann als seine Hauptbotschaft präsentiert: „Steh auf, werde licht, Jerusalem, denn es kommt dein Licht und die Herrlichkeit des Herrn geht strahlend auf über dir! … Nationen wandern zu deinem Licht und Könige zu deinem strahlenden Glanz“ (Jes 60,1.3). Wahrscheinlich ist dieser grandios wirklichkeitsferne Text in der Mitte des 6. Jahrhunderts vor Christus geschrieben worden: die Reste des Volkes Israel waren nach jahrzehntelanger Verschleppung in die Ruinen ihres zurückgekehrt. Nun sollen Frieden und Gemeinschaft herrschen, weil Gott über Jerusalem strahlend aufgeht. Nach den Kriegen der jüngeren Vergangenheit und der schnell wachsenden Spannungen in der Gesellschaft der Heimkehrer war „Frieden“ genauso ein Fremdwort wie im heutigen Heiligen Land.

 

Das menschliche Antlitz des Feindes

In der Dunkelheit dieser Kriegstage mit der gegenseitigen Ankündigung der totalen Vernichtung und einer wachsenden Schar von Nutznießern des Konflikts fällt mir die Vorstellung sehr schwer, wie Gott und seine Friedensbotschaft über der physischen und psychischen Trümmerlandschaft im Gazastreifen, Westjordanland und Israel „strahlend aufgehen“ sollen. Das einzige Licht das ich sehe, ist der irritierende Schein, der von der Krippe ausgeht. Das hilflose Kind, das dort liegt, ist eine beispiellose Kompromittierung all jener, die sich auf den Sieg und die totale Vernichtung der Feinde fixiert haben. Aber in Bethlehem wurde kein harter Krieger geboren, weder ein potentieller Terrorist, noch ein den Terror bekämpfender Soldat und schon gar nicht ein scheinbar allmächtiger Herrscher, ein Diktator, der nur eines wirklich gut kann: alles mit Tod zu erfüllen. Das Licht, das dieses Kind ausstrahlt, demaskiert die Brutalität aller Phantasien von einem „Endsieg“ jeder der Konfliktparteien. Vor allem aber zeigt es das menschliche Antlitz des Gegners.

Werden wir zu Zeuginnen und Zeugen dieses angesichts des Hasses und der Wut auf den Straßen und der Finsternis in den Herzen zutiefst verstörenden Lichtes! „Auf werde licht, denn es kommt dein Licht“ – ein uralter Hoffnungstext zum stets neuen Drama von Blut und Tränen.

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands