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Vom Verlieren und Gewinnen des „Lebens“ – Nachklang zum 22. Sonntag (A) 2023

Das unübersetzbare griechische Wort „psyche“

"Wer sein Leben retten will, wird es verlieren" (Mt 16,26). Mich stört, ja mich ärgert an diesem Schlüsselsatz aus dem aktuellen Sonntagsevangelium, dass es anscheinend nur um das Leben der bzw. des Einzelnen geht. Übersetzt man dann noch das zugrundeliegende griechische Wort „psyche“ mit „Seele“, landet man endgültig in der spirituellen Sackgasse ichbezogener Heilssuche. Gottseidank ist hier dann sofort von der Gefahr des Verlierens die Rede! Ich kann mein Seelenheil also nicht für mich einheimsen und es wie einen Besitz für mich behalten. Der Begriff „psyche“ zeigt sich als sperrig und (fast) unübersetzbar. Klar aber ist: Beim Heil meiner „psyche“ geht es sprichwörtlich um alles. Um mich als ganzen Menschen, um den innersten Kern meiner Person, um meine Werte, um meine Lebendigkeit und die Vielfalt meiner Lebensbezüge. Wenn ich an meiner „psyche“ Schaden nehme, dann hat dies folglich Auswirkungen weit über mich hinaus.

Vertrauen - die „psyche“ der Gesellschaft

Im übertragenen Sinn besitzt auch eine Gesellschaft so etwas wie eine „psyche“, d.h. ein Lebensprinzip, das sie im Innersten zusammenhält. Was geschieht aber, wenn dieser „psyche“ Schaden droht oder sie gar verloren geht? Von mehr oder weniger deutlichen Anzeichen für diese Entwicklung sprechen immer wieder Umfragen, in denen es um Werte, Zukunftsaussichten und Ängste in unserem Land geht. Im Januar veröffentlichte das international renommierte Edelman-Trust-Institute sein „Barometer“ für 2023(1). Hier wird deutlich, dass das Lebensprinzip unserer, aber auch jeder anderen Gesellschaft das gegenseitige Vertrauen ist. Dies aber wird bedroht durch die weitverbreitete Angst um den eigenen Arbeitsplatz (80% der Befragten), vor der Inflation (69%) und vor Nahrungs- und Energieknappheit (61%). Ängste, die den und die einzelne auf sich selbst zurückwerfen. Viele sehen daher den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Deutschland gefährdet. Zwei Drittel der Befragten (70%) beklagen, dass der Mangel an gegenseitigem Respekt noch nie so groß war. Kaum geringer ist die Zahl derer, die meinen, dass das soziale Gefüge zu schwach ist, um als Grundlage für Einigkeit und gemeinsame Ziele zu dienen. Somit kommt ein Teufelskreis in Gang. Denn die Folge ist unter anderem, dass viele sich zurückziehen und nicht mehr engagieren wollen. Andere wiederum gelangen zu der Überzeugung, dass es auf sie nicht mehr ankommt.

„Seel“-Sorgerinnen und -Sorger gesucht

Dabei brauchen wir mehr denn je Menschen, die sich um die „psyche“, um die „Seele“ unserer Gesellschaft sorgen und kümmern. Wir brauchen Seelsorgerinnen und Seelsorger im umfassenden Sinn des biblischen Wortes „psyche“. Menschen, die sich um die eigene und die Seele anderer sorgen und Sorgen machen. Menschen, die begreifen, dass sie am besten für ihre „psyche“ Sorgen tragen, wenn sie Aufmerksamkeit und Achtung schenken und (in einem der nach wie reichsten Länder dieser Welt!) für einen realistischen, vielleicht sogar ab und an dankbaren Blick auf unsere Lebensumstände eintreten.

Der portugiesische Schriftsteller José Samarago sucht in seinem 1995 geschriebenen Roman „Die Stadt der Blinden“ Antworten auf die Frage nach der „Seele“. Die Bewohner der Stadt verlieren nach und nach ihr Augenlicht. Die Blindheit steht dabei für die blinde Vernunft, mit der das alltägliche Leben abläuft. Ein junges Mädchen sagt zu einem alten Mann: „Wenn ich eines Tages wieder sehen kann, werde ich in die Augen der Menschen schauen und ihre Seele darin sehen.“ „Seele?“, fragt der Alte zurück.
„Ja – in jedem von uns ist etwas, das keinen Namen trägt und dieses etwas, ist das, was wir sind. Die Seele ist das, was uns zu moralisch handelnden, zu humanen Wesen macht. Wir müssen jeden Tag neu um unsere Seele ringen, das heißt uns fragen, ob wir richtig handeln.“

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands

(1) https://www.edelman.de/sites/g/files/aatuss401/files/2023-01/Pressemitteilung_Edelman%20Trust%20Barometer%202023_Report%20Deutschland_k_Website.pdf