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„Wer zu spät kommt …“ - Nachklang zum 32. Sonntag (A) 2023

Ein Jahrhundertsatz

Für den 6.10.1989 notiert Michail Gorbatschow in Erinnerung an ein Vieraugengespräch mit Erich Honecker folgenden Satz: „Das Leben verlangt mutige Entscheidungen. Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben“.[1] Der erste Teil dieses Jahrhundertspruches fällt in der Regel unter den Tisch, dabei macht er erst die Wucht und Tragweite der Äußerung des Kremlchefs deutlich. Beim Hören des Sonntagsevangeliums von den fünf „törichten“ und den fünf „klugen“ Jungfrauen (Mt 25,1-13) ist mir meistens spontan das „Wer zu spät kommt“ eingefallen: die „Strafen“ des wirklichen Lebens bestehen nun einmal in verpassten Gelegenheiten, unwiederbringlich sich verkleinernden Zeitfenstern oder geschlossenen Türen. Dementsprechend kennzeichnen viele Interpretinnen und Interpreten dieses Gleichnisses die „törichten“ Jungfrauen als naiv, kurzsichtig, inkonsequent oder einfach nur dumm. Davon abgesehen, dass mit diesen Deutungen teilweise sexistische Diffamierungen einhergehen, bleiben diese zu sehr an der Oberfläche.

Selbstbezogen und abgelenkt

Was also könnte mit „töricht“ gemeint sein? Eine erste Überlegung geht von meinem eigenen Leben aus. Ich muss einräumen, dass ich manche für mich wichtige Entwicklungen in meinem Umfeld verpasst habe, weil ich zu sehr mit mir selbst beschäftigt war. Ich konnte und wollte phasenweise nicht die entsprechende Aufmerksamkeit aufbringen und wurde dann von Ereignissen regelrecht überrumpelt. In der Bildwelt des Evangeliums ausgedrückt hatte ich nicht genügend Öl in meiner Lampe. Heute würde der Evangelist Matthäus vielleicht ein nicht rechtzeitig aufgeladenes Handy als Bild wählen. Wachsam- und Achtsamkeit sind in diesem Sinne nicht teil- oder übertragbar. Eine zweite Deutung hebt auf das Einschlafen bzw. das Wachbleiben der jungen Frauen im Gleichnis ab. Wirklich wach sein bedeutet in der griechischen Philosophie zur Zeit Jesu, dass ich nicht jeder Meinung hinterherlaufe und mich von allen Seiten her beeinflussen oder gar betäuben lasse, sondern mich auf das mir Wichtige konzentriere und alles andere außen vorlasse. Hier steht das Öl für beharrliche Aufmerksamkeit und ein Beharren auf den als persönlich richtig erkannten Werten. Erneut gilt aber auch, dass ich die mir im Leben wichtigsten Dinge nicht mit anderen teilen kann. Ob nun die nötige Sensibilität für die Vorzeichen sich anbahnender Geschehnisse oder eine klare Kante in der eigenen Werteorientierung: beides gibt es nur zusammen mit der Bereitschaft für mutige Entscheidungen und dem eindeutigen Bekenntnis zur unteilbaren Verantwortung für mein eigenes Leben.

Die entscheidenden Fragen

Trotzdem stößt mir als Geistlicher Vorstand in einem großen sozialethischen Verband das Verhalten der fünf „klugen“ jungen Damen mächtig auf. In Auftreten und Argumentation wirken sie nicht nur souverän, sondern zuallererst egoistisch. Ein wenig erinnert ihr unsolidarisches Auftreten an die knallharte Konkurrenz bei „Germanys next Top Model“ &Co. Oder sind es ihr Milieu und ihre Bildung, die ihnen eine bessere Vorbereitung auf den entscheidenden Augenblick der Ankunft des Bräutigams ermöglichen? Natürlich ist das Benehmen der „klugen“ Jungfrauen und das bizarre Gebaren des Bräutigams der Stoff, aus dem der Skandal dieser Geschichte besteht. Von gegenseitiger Hilfe und Solidarität spricht die Heilige Schrift an anderer Stelle oft genug. Hier aber geht es um die Frage: Was ist Dir wichtig in Deinem Leben? Worauf kommt es an?

Aufmerksam bleiben

Diesen beiden Fragen muss sich auch ein Verband wie die Katholische Arbeitnehmerbewegung stellen. Natürlich müssen wir uns in unseren Gremien immer wieder mit unseren Strukturen, mit Fehlentwicklungen und Fehlleistungen in unseren Reihen und existenzbedrohenden Entwicklungen auseinandersetzen. Kreisen wir überwiegend um uns selbst und die Frage, wer wann an was schuld war bzw. ist und verkleinern wir dabei tiefsitzende strukturelle Probleme auf Probleme von und mit Einzelpersonen? Geschieht dies, um unsere Fähigkeit und Aufmerksamkeit in der Auseinandersetzung mit dem massiven Umbruch in der Welt der Arbeit und den davon betroffenen Menschen zu erneuern? Schreckt uns beispielsweise das zunehmende Auseinanderklaffen von Person und Arbeit endlich auf? Wie reagieren wir auf eine Politik, die zwar die Qualifikation bzw. Arbeitsleistung willkommen heißt, die dazugehörige Person aber weiterhin nicht in unserer Gesellschaft ankommen lässt? Worin besteht unsere Antwort auf die grassierende Arbeitslosigkeit unserer Gegenwart? Ist uns klar, dass von einer adäquaten Reaktion unser Fortbestand als KAB abhängt? Welche mutigen Entscheidungen sind wir bereit zu treffen? Nicht nur Einzelpersonen können Chancen verpassen. Dies kann auch Gemeinschaften passieren. Das Nicht-Ernstnehmen der Herausforderungen der Gegenwart führt schlimmstenfalls in die eigene Bedeutungslosigkeit.

„Wer zu spät kommt …“ Noch können wir zur rechten Zeit das Richtige tun!

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands

 

[1] Der Wortlaut des Satzes ist nach wie vor umstritten. Für den 5.10.1989 ist folgende Äußerung belegt "Ich glaube, Gefahren warten nur auf jene, die nicht auf das Leben reagieren." (https://www.zeit.de/stimmts/1999/199941_stimmts_gorbatsc)