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„Wo ist Klaus?“ – Ein Nachklang zu Christi Himmelfahrt 2023

 

Als Kind habe ich sogenannte Wimmelbilder über alles geliebt. Stets ging es darum unter den schier unzähligen Figuren, die typische Alltagsszenen wie ein Freischwimmbad oder eine Einkaufsstraße bevölkerten, eine ganz bestimmte herauszufinden. In der Regel lautete die Frage: „Wo ist Klaus?“ Und dann begab ich mich auf eine zuweilen ebenso lange wie genussvolle Suche. Das für diesen „Nachklang“ ausgewählte Bild bietet zwar lediglich eine gut überschaubare Gruppendarstellung, stellt aber fast die gleiche Frage: Wo ist Jesus?“ Der gewählte Fotoausschnitt zeigt viel, insbesondere viel Gold im Hintergrund, nur nicht den in den Himmel emporgehobenen Christus.

Die von Adolf Trawöger, Rektor des Bildungshauses Schloss Puchberg und Freund aus meinen römischen Studientagen, „geschriebene“ Ikone versammelt die Jünger mit Maria im Zentrum. Bis auf die offensichtlich stets gut informierte Gottesmutter reagieren die Dargestellten auf die erklärenden Gesten zweier Engel mit eher fragenden, ja sogar leicht irritierten Blicken. Wo ist Jesus? Die Antwort auf seinen Verbleib ist offensichtlich uneindeutig: einer der Engel deutet nach oben zum Himmel, der andere hin zur Erde. Die suchenden Augen der Jünger gehen daher in unterschiedliche Richtungen: einige folgen dem Fingerzeig, andere schauen geradeaus und wiederum dritte wirken irgendwie teilnahmslos. Insgesamt gleichen die Jünger den Teilnehmern an einer Kunstführung, die mit unterschiedlichem Vorwissen und angestrengter Aufmerksamkeit den dargebotenen Ausführungen zu folgen versuchen.

Der verstellte Blick

Wo ist Jesus? Ihn findet, wer mit den Augen der Ostkirche und ihrer „himmlischen Liturgie“ auf diese Ikone schaut. Es gibt in der Ostkirche keine Ikone, die nicht auf goldenem Hintergrund gemalt wäre. Gold ist in der Ostkirche die Farbe des Himmels. Und sie ist überzeugt: von diesen Bildern her leuchtet ein Stück Himmel in das Leben der Menschen hinein. Je intensiver ich vor den Ikonen bete und mich mit ihnen beschäftige, desto deutlicher leuchtet mir das wahre Bild von Gott und Jesus auf. Durch die Ikone wird die himmlische Welt jetzt schon präsent und wirksam. Das heißt, je mehr meine Suche zum Gebet wird, desto mehr erkennt sie Jesus im tragenden Goldhintergrund. Das klingt einfacher als es ist. Ich suche nach Jesus, weil ich ihn nicht sehen, wahrnehmen oder begreifen kann.

Häufig ist, ja wird mir der Blick auf ihn regelrecht verstellt. Die von vielen als solche wahrgenommene Unglaubwürdigkeit kirchlicher Verkündigung leistet hierbei genauso „ganze Arbeit“ wie die „Gott-mit-uns-Kriegspredigten“ des russischen Patriarchen und seiner geistig-geistlichen Ahnen in allen christlichen Konfessionen. Es fällt mir nicht selten schwer, bei all dem, was mich in meinem Erleben als Zeitgenosse ohnmächtig und wütend zurücklässt, noch bis auf den goldenen Hintergrund im wahrsten Sinn des Wortes durchzublicken.

Durchschimmern

Verrückterweise gibt es aber eine zweite, nämlich die umgekehrte Blickrichtung. Von Ikonen heißt es, dass sie Fenster zum Himmel sind. So wie ich zum Fenster hinaussehe und den Himmel erblicke, so schaut durch das gleiche Fenster der Himmel auch herein. In diesem Sinn schimmert der Goldhintergrund einer Ikone gewissermaßen aktiv durch. Es ist ein Geschenk, dieses „Durchschimmern“ wenigstens erahnen zu können. Manchmal sehe ich es, wenn sogenannte Kirchendistanzierte und in zunehmender Zahl auch Ungetaufte mit großer Überzeugung und Selbstverständlichkeit – so wie ich es wahrnehme – ethische Werte des Evangeliums für ihr Leben als Maßstab benennen und danach handeln. Ähnlich wie viele, die aus der Kirche austreten und sich doch weiterhin in einem christlichen Geist z.B. caritativ engagieren. Genauso scheint für mich Gott im Auf und Ab einer ganzen Reihe von Lebensgeschichten mir vertrauter Menschen durch. Und Gott schimmert in diese Welt hinein, „wo Menschen sich vergessen, die Wege verlassen … wo Menschen sich verschenken, die Liebe bedenken … wo Menschen sich verbinden, den Hass überwinden und neu beginnen, ganz neu“ (Christoph Lehmann).

Wo ist Jesus? Christi Himmelfahrt ist für mich die bleibende Aufforderung, hinter den so oft verstörenden und beängstigenden Wimmelbildern meines Lebens und Erlebens zumindest ein Schimmern des goldenen Hintergrundes zu erahnen. Hier und deshalb immer wieder woanders wird Jesus zu finden sein.

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands