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Zu viel Empathie? - Nachklang zum Fest der Taufe des Herrn 2023

Vorsicht mit einem Zuviel an Empathie und Mitgefühl! Zumindest scheint dies für das Arbeitsklima zu gelten. Vor einigen Jahren erläuterte die „WirtschaftsWoche“ die zehn Nachteile des Mitgefühls und führte u.a. aus: Empathie laugt aus, weil es kräftezehrend ist, sich permanent in die Gefühlszustände anderer Menschen hineinzuversetzen. Sie führe des Weiteren zu Einsamkeit, da für das Privatleben am Abend keine Gefühle mehr übrigblieben. Ein Zuviel an Empathie bei Führungskräften erzeuge aber auch das Gefühl von Ungleichbehandlung ihrer Untergebenen. Außerdem: Wenn Frauen in der Chefetage zu viel Verständnis für die Probleme anderer hätten, würde das ihren Aufstiegschancen schaden (zumal, so der Artikel, Frauen von vornherein als besonders empathisch gelten). Richtig schwierig wird es, wenn Empathie für irrationale Entscheidungen verantwortlich gemacht und als eine der Hauptfaktoren von Diskriminierung und Korruption benannt wird. Sicherlich, der genannte Artikel argumentiert differenzierter und lässt sich zudem als eine Reaktion auf einen bereits seit mehr als ein Jahrzehnt beobachtbaren Hype interpretieren, der Empathie zum Softskill schlechthin für Führungskräfte erhebt.

Der Evangelist Matthäus lässt in der Szene der Taufe Jesu am Jordan die grundmenschliche Sehnsucht nach Verständnis und Liebe anklingen: „das ist mein geliebter Sohn, an dem ich Wohlgefallen gefunden habe“ (Mt 3,17): Dieses „Verstanden- und Geliebt-Sein“ muss ich als Mensch immer wieder hören und immer wieder von neuem erfahren. Deshalb verstärkt und bestätigt das Fest der Taufe des Herrn noch einmal die faszinierende Botschaft von Weihnachten: Gottes grenzenlose Empathie für jeden einzelnen Menschen. Ein Zuviel davon ist bei Gott unmöglich!

Für uns Menschen ist leider ein fein justierbares Zuwenig jederzeit machbar. Schwierig wird es, wenn (siehe oben) Empathie lediglich als strategisch einsetzbare Qualifikation zur Beeinflussung anderer Menschen oder als wesentlicher Faktor etwa von wirtschaftlichem Erfolg betrachtet wird. Noch schwieriger, weil letztlich krank und unmenschlich, ist es, wenn im betriebswirtschaftlichen Kontext bewusst, ja böswillig jegliche Form von Mitgefühl ausgeschaltet wird. Hierzu schreibt der vor allem durch seine Forschungsergebnisse zum Narzissmus bekannt gewordene Psychiater und Psychotherapeut Pablo Hagemeyer: Der Empathiemangel als Form der Macht „formt aus Menschen Zahlen. Sie nimmt den Menschen ihre Namen und damit ihre Menschlichkeit. Zahlen lassen sich leicht hin und her schieben. Nicht die Person zählt, sondern die Zahl, die diese Person produziert.“ Als Illustration schildert er eine besonders krasse Form der in manchen Chefetagen praktizierten Empathielosigkeit: „Junge engagierte Mitarbeiter werden gezielt ‚sauer gefahren‘ und nach ein paar Jahren wieder entlassen. Zusätzliche, aufwendige Arbeit wird als „Bonus-Option“ angeboten. Das Unternehmen plant lange vor Beginn des Beschäftigungsverhältnisses, die Person für nur fünf Jahre zu beschäftigen, wissend, dass danach die Person ‚verbraucht‘ ist. Die Leistung des Arbeitnehmers wird also bewusst ausgereizt. Jede Kommunikation mit Vorstand oder Führungskraft wird unterbunden, um keine persönlichen Beziehungen aufkommen zu lassen." (1)

Jesus stellt sich mit den Belasteten und Beladenen seiner Zeit buchstäblich in eine Reihe; er steht mit ihnen Schlange, um sich taufen zu lassen. Heute stünde er bei den Getäuschten, Ausgepressten und Weggeworfenen. Denn er steht bei denen, über denen kein offener Himmel zu sehen ist: er die menschgewordene Empathie Gottes.

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands

(1) Pablo Hagemeyer, Gestatten, ich bin ein Arschloch, Eden-Books, 83.