Diese Website benutzt Cookies. Wenn Sie auf "Akzeptieren" klicken, stimmen Sie dem Einsatz von Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung zu.

Frieden mit ausgestreckter Hand, oder doch besser den Finger am Abzug? - Ein Nachklang zum dritten Sonntag der Osterzeit 2024

"Non violence" (The knotted gun) von Carl Fredrik Reutersward. Foto: wikipedia

Selbst für viele Katholikinnen und Katholiken war die diesjährige Osterbotschaft des Papstes schwer verdaulich, für manche sogar verstörend.

Angesichts des unendlichen Leids im Gazastreifen und des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine sagte Franziskus: „Frieden wird niemals mit Waffen geschaffen, sondern indem man die Hände ausstreckt und die Herzen öffnet.“

Ein „weltfremdes“ Angebot

Bei näherem Hinsehen aber ist die Botschaft des Auferstandenen selbst nicht weniger „weltfremd“ als jene des Papstes. Jesus erscheint am Abend des Ostertages unter den Jüngerinnen und Jüngern sichtbar von den Spuren der Folter und den Todesmalen der Kreuzigung gekennzeichnet. Rein menschlich betrachtet wäre es nahegelegen, nach all dem, was er hatte erleiden müssen, über Vergeltung und Prävention zu sprechen. Aber nicht einmal die Andeutung eines Vorwurfs kommt über seine Lippen, weder seinen Peinigern und Richtern gegenüber, noch an die Adresse der Jünger, die ihn fast ausnahmslos im Stich gelassen hatten. Er wurde zum Gewaltopfer und trotzdem lautet der wichtigste Satz, den er zu sagen hat: „Der Frieden sei mit euch!“ Eine schier irreale Äußerung. Kein Wunder, dass die Anwesenden außer sich vor Furcht geraten. Wahrscheinlich hat sie aber auch die Angst vor den Konsequenzen dieses durch Folter und Tod hindurch gegangenen Friedenswunsches gepackt. Denn es geht um nichts anderes, als dass mit ausgestreckten Händen und offenem Herzen Frieden angeboten wird.

„Angst essen Seele auf“

Viel häufiger gibt es die Friedensofferte mit verschränkten Armen bzw. den Händen in der Hosentasche und dem Finger am schussbereiten Revolver. Es handelt sich um die „übliche“ Form von Frieden, die Streit verhindern will und diesen notfalls mit der Androhung von Gewalt absichert. Immer häufiger ist in diesen Tagen von politischer Seite zu hören, dass es vielleicht über Jahrzehnte keinen anderen Frieden geben könne als den auf Abschreckung und militärischer Stärke beruhenden. Auch ich weiß als Kind aus der Zeit des „Kalten Krieges“ spätestens seit der brutalen Annexion der Krim durch Putin keine wirkliche Alternative. Aber im Herzen ahne ich, dass Misstrauen und Säbelrasseln allein nie die Grundlage für einen echten Frieden bilden können. Schlimmer noch: Abschreckung und Misstrauen werden auf Dauer eine Gesellschaft genauso nach innen prägen und deformieren wie das Zusammenleben der Staaten. Denn schnell sind auch im eigenen Land „Feinde“ identifiziert und stigmatisiert. In Deutschland und anderen EU-Staaten lässt sich aktuell aus dem Freund-Feind-Schema ebenso billig wie unwürdig massenhaft politisches Kapital gewinnen. Auf Dauer gilt: „Angst essen Seele auf“. Sie verdirbt den Charakter des freiheitlich-demokratischen Staates.

Frieden trainieren

Christinnen und Christen können daher nicht aufhören, die Praxis eines Friedens zu fordern und selbst zu leben, der die Grenzen sozialer Bezugssysteme und vor allem der eigenen nationalen Zugehörigkeit überwindet. Wer mit den ausgestreckten Händen des Auferstandenen Frieden praktiziert, versucht in langfristigen Kategorien des Zusammenlebens auf nationaler und (!) internationaler Ebene zu denken und die Abwehrhaltung bzw. Abgrenzungen gegenüber „dem Fremden“ im Sinne des Friedens für alle Beteiligten in Frage zu stellen. So verstandene Konflikt- und (ganz sicher auch) Kriegsprävention ist eine Frage der permanenten Einübung. Frieden bedarf des täglichen Trainings. Christinnen und Christen sollten sich daher für eine Politik einsetzen, die im Kleinen auf zivilgesellschaftlicher Ebene permanent Anreize und Lernmöglichkeiten für das Zusammenleben unterschiedlichster Menschen und Gruppen schafft. In der Kirche und ihrer Liturgie ist andauernd von Frieden die Rede. Aber ist das kirchliche Leben in Pfarreien und Verbänden ein Ort, oder sogar ein Trainingscamp für Konfliktbewältigung und Versöhnungskultur? Machen wir endlich ernst mit unserer Rede vom Frieden! Vielleicht wächst dann in Gesellschaft und Kirche eine neue Generation heran, die beim Thema Frieden nicht zuerst an den griffbereiten Revolver, sondern die eigene ausgestreckte Hand denkt.

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands