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Konsumpflicht? - Nachklang zum 3. Sonntag der Fastenzeit 2024

„Ich hab schon alles, ich will noch mehr, oh oh

Alles hält ewig, jetzt muss was Neues her

Möcht im Angebot ersaufen

Mich um Sonderposten raufen

Hab diverse Kredite laufen, oh, es geht mir gut

Oh, ich kauf' mir was

Kaufen macht soviel Spaß

Ich könnte ständig Kaufen gehen

Kaufen ist wunderschön“

 

„Kaufen“ heißt ganz schlicht eines der wenigen Lieder von Herbert Grönemeyer, die auch nach vierzig Jahren noch keinerlei Alterserscheinungen aufweisen. Die ironische Hymne im Reggae-Stil über den Konsumterror der frühen 80er Jahre nimmt ein ebenso ernstes wie verharmlostes Thema aufs Korn: eine Gesellschaft, die auf einer Art Konsum- bzw. Kaufzwang gründet. „Kaufen, kaufen, kaufen“ lautet die Devise. Schon seit Jahrzehnten müssen shoppingbewusste Konsumbürgerinnen und -bürger unbedingt ihren Teil dazu beitragen, dass die deutsche Wirtschaft dank einer starken Binnenmarktnachfrage auf sicheren Füßen steht. Es scheint vor diesem Hintergrund jede unternehmerische Strategie gerechtfertigt, die die Konsumbereitschaft im wahrsten Sinn des Wortes rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche mit Erfolg stimuliert. Zusätzlich zum 24/7-Angebot des Onlineshoppings kommen nun sogenannte „Smart-Stores“ hinzu, die täglich 24 Stunden Lebensmittel des Grundbedarfs anbieten. Nach Angaben der Betreiber erwirtschaften diese Läden seit ihrer Einführung 30% ihres Umsatzes durch den Verkauf an Sonntagen[i]. Und nur wenn dies so bliebe, sei auch der Fortbestand der Geschäfte „auf dem flachen Land“ gesichert. Die Landbewohnerinnen und Landbewohner sind damit regelrecht in der „moralischen Pflicht“ auch und gerade sonntags einkaufen zu gehen. Dem hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof vorerst einen Riegel vorgeschoben und begründet dies damit, dass es für unsere Gesellschaft noch etwas Wichtigeres gibt als den Dauerkonsum.

 

Wenn ich (wie an diesem Sonntag) das dritte der Zehn Gebote höre: „Gedenke des Sabbats … an ihm darfst du keine Arbeit tun“ (Ex 20, 8.10), denke ich spontan an die Befreiung aus einem Zwangssystem: „Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus dem Land Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus“ (Ex 20,2), heißt es zu Beginn des Textes. Der Sabbat vergegenwärtigt also die Befreiung aus dem „Sklavenhaus“ (Ex 13,3) in Ägypten und damit die Rettung aus dem Zwang permanent arbeiten zu müssen. In diesem Sinn ist das „Nicht dürfen“ der Gebote zu verstehen. In einem seiner Gebete feiert das Volk Israel deshalb den Befreiungsschlag durch Gott geradezu euphorisch: „Seine Schulter habe ich von der Bürde befreit / seine Hände kamen los vom Lastkorb“ (Psalm 81,7).

Heute hat der Sonntag sozusagen als „jüngerer Bruder des Sabbats“ das Potenzial, Menschen vor einem durchaus vergleichbaren Zwang zu bewahren, vom angesprochenen gesellschaftlichen Zwang zum Konsum. Nicht konsumieren müssen, - hierin besteht die eigentliche revolutionäre Errungenschaft des Sonntags für unsere Gegenwart. Es geht beim Schutz dieses hohen Kulturguts gerade nicht darum, durch eine moralinsaure Verbotsrhetorik den Menschen am Sonntag den Spaß zu verderben oder diesen Tag für die Kirchen zu retten. Aber macht nur Shopping so richtig Spaß? Es muss endlich ein gesellschaftlicher Diskurs darüber stattfinden, dass immer mehr Menschen das Einkaufen zu ihrem allein selig machenden Hobby auserkoren haben, weil sie mit ihrer freien Zeit scheinbar sonst kaum noch etwas anzufangen wissen. Der Sonntag droht sich immer mehr zu einem wichtigen Faktor für das Vertriebsmodell nicht nur der Supermarktkette „Tegut“ zu entwickeln[ii]. Deshalb gilt es den Sonntag als wirklichen Freiraum für „ganz Anderes“ neu und besser zu profilieren.  Der Sonntag muss der Tag in der Woche bleiben, an dem Menschen nicht produktiv oder für den Binnenmarkt rentabel sein müssen. Der Tag soll für die eigene Erholung, für den Freundeskreis und fürs Familienleben reserviert bleiben. Es ist ein Tag, an dem die Menschen über ihre Zeit selbst verfügen können, gerade auch im Sinne einer umfassenden und rechtlich abgesicherten Nicht-Erreichbarkeit. Das Werbeverbot in den öffentlich-rechtlichen Sendern unterstreicht den Konsumaspekt dieser Nicht-Erreichbarkeit.

Ich schlage vor, an Sonntagen ab und an regelrechte Wettbewerbe im „Wenig-Geld-Ausgeben“ und im „Konsum-Reduzieren“ zu veranstalten. Wer schafft es, ohne großen finanziellen Aufwand möglichst viel an Erholung und Unterhaltung zu erleben? Oder einfach einmal mit Niveau nichts zu tun? Ein schwieriges Unterfangen, aber viel schöner, als dauernd etwas zu kaufen.

Stefan-Bernhard Eirich, Bundespräses der KAB Deutschlands

 

[i]www.food-service.de/maerkte/news/smart-stores-tegut-legt-expansionsplaene-fuer-teo-maerkte-vorlaeufig-auf-eis-58808

[ii]www.faz.net/aktuell/rhein-main/wirtschaft/tegut-chef-ueber-verkaufsverbot-an-sonntagen-rettet-nicht-den-gottesdienst-19485453.html